Ich verstehe, dass nicht jeder Neuheide die Möglichkeit (und das Interesse) hat jede Idee auf ihre wissenschaftliche Stichhaltigkeit zu prüfen. Und selbst wenn, schützt dies nicht vor Fehlinformation: Beispielsweise entstammte die Vorstellung akademischen Kreisen, der Hexenverfolgung läge der Kampf gegen eine heidnische Hexenreligion zugrunde.
Ich verstehe, dass gewisse pseudohistorische Vorstellungen „empowering“ wirken können, aber natürlich nur solange sie nicht in Frage gestellt werden. Wenn z.B. enthüllt wird, dass Wicca nicht auf eine ungebrochene Tradition bis in die Anfänge der Menschheit (oder doch wenigstens einige tausend Jahre weit) zurück geht, sondern 1950 erfunden wurde, ist das nicht nur ein willkommener Angriffspunkt für Kritiker, sondern mag auch bei der Wicca-Anhängerin selbst grundsätzliche Zweifel hervorrufen.
Mir scheinen pseudogeschichtliche Vorstellungen für das Verständnis vergangener Zeitalter abträglich; sie berauben uns tieferer Einsichten. Es gibt Aspekte der alten Lebenswelt, die aus der heutigen Perspektive nicht reproduktionswürdig erscheinen, deshalb brauchen sie als geschichtliche Realität nicht verleugnet zu werden. Neben der Trübung unseres Blicks auf die Vergangenheit mögen Projektionen heutiger Vorstellungen in die graue Vorzeit auch unser gesellschaftliches Innovationsvermögen beeinträchtigen, weil kontingente Inhalte durch pseudohistorische Legitimierungsstrategien zementiert werden.
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