Mittwoch, 25. November 2015
Fiktionale Gottheiten
Es gab eine Zeit da war ich begeisterte Papier-und-Stift-Rollenspielerin. In unserer Spielwelt gab es ein Pantheon fiktionaler Gottheiten deren Eigenschaften und erfundene Mythen mir wesentlich präsenter waren als diejenigen der historisch verehrten Götter. Entsprechend näher fühlte ich mich ihnen und sie waren es auch, die erstmals den Wunsch zur rituellen Interaktion mit derartigen Entitäten aufkeimen liessen.
Warum sollten traditionelle Überlieferungen - die womöglich von vielfältigen Interessen korrumpiert wurden - für eklektische Neuheiden von grösserer Relevanz sein als zeitgenössische Erzählungen oder Eigenkreationen?
Sicherlich erschweren oder verunmöglichen ideosynkratische Schöpfungen den Austausch mit Gleichgesinnten. Die Entitäten und ihre Mythen können eindimensionaler ausfallen, das Eintauchen in die vielschichtige Geschichte der Gottheit fällt weg. Doch scheint es mir selbstbetrügerisch die kulturelle Einbettung moderner Fiktion zu verleugnen; Auch die Erzählungen unserer Zeit sind nicht völlig neu, sondern haben unter Umständen weitreichende Wurzeln, die wir ergründen können. Eigenkreationen lassen womöglich tiefe Einblicke in die Psyche der Urheberin zu, von der Freude beim Spinnen der Mythen ganz abgesehen.
Verschiedene Sichtweisen der Beschaffenheit des Seienden lassen unterschiedliche Begründungen für die Wirkkraft "fiktionaler" Gottheiten zu:
Wenn die Götter ihren Einfluss auf die Welt der Menschen ihren Anhängern verdanken, scheint der Rückgriff auf populärkulturelle Erscheinungsformen naheliegend. Die Akteure zeitgenössischer Erzählungen sind in der Regel um einiges gegenwärtiger als die fast vergessenen Wesenheiten weit zurückliegender Epochen.
Wobei der Umstand weitestgehend fehlender Überlieferung Neuheiden nicht davon abhält für historisch verbürgte Gottheiten wie zum Beispiel Artio neue Attribute zu erfinden. Ähnlich die neuheidnische Praktik lokalen Gottheiten, deren Namen und Charakteristiken in Vergessenheit geraten sind, neues Leben einzuhauchen. Ein bekanntes Beispiel dafür wäre Nolava, die Göttin von Avalon in der Glastonbury Göttinnen Tradition. Zugrundeliegend sehe ich die Überlegung, dass (angenommenerweise) vorhandene Entitäten durch unsere Benennung und Schaffung eines Gesichtes ansprechbar werden. Warum sollte man sich dabei auf Götter des Landes beschränken?
Wenn die Götter als Teil unserer Psyche gesehen werden, scheint die eigenmächtige Schöpfung als Ausdruck unseres Innersten offensichtlich potent. Vergleichbar steht es um Sichtweisen, welche den Einfluss der Phantasie auf das Seiende als unterschätzt wahrnehmen oder die Erkennbarkeit der Wirklichkeit grundsätzlich verneinen.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen